Dienstag, 16. Dezember 2014

Sind Literaturagenten gefallene Götter?

Eigentlich arbeite ich gerne mit Literaturagenten zusammen. Sie nehmen dem Autor eine Menge Arbeit ab und sind zur Zeit fast die einzige Möglichkeit ein Buch bei einem traditionellen Verlag zu veröffentlichen. Allerdings sehe ich die Zukunft dieses Berufszweigs akut bedroht.

Der Umweg eines Buches zum Verlag

Vor zwanzig Jahren schickten Autoren Exposes oder komplette Manuskripte nach Gießkannenprinzip an dutzende Buchverlage, stets in der Hoffnung, dass einer von denen die Texte tatsächlich kaufen würde. Aber irgendwann wurde den Verlagen das ständige Manuskriptlesen lästig. Sie lagerten diese Tätigkeit an externe Dienstleister, die Literaturagenten aus. Diese dienen jetzt als Bindeglied zwischen Verlag und Autor.

Was Literaturagenten machen (und was nicht)

Viele Autoren haben ein falsches Bild von Literaturagenten. Sie erwarten auf einen Sprachgourmet zu treffen. Eine Trüffelsau, die  jede literarische Feinheit im Manuskript zielsicher erschnüffeln und goutieren wird. Erweist sich die Trüffelsau als unfähige Banause, schleudert ihm der Autor erzürnt seine Blitze des Hasses - und oft auch seinen Anwalt - entgegen. Das liegt am falschen Bild, das der Autor vom Literaturagenten hat. Vermutlich gab es dieses Problem früher auch zwischen Verlag und Autor, weshalb Verlage heute ungern direkten Kontakt mit den Schreiberlingen haben.

Weder Verlage, noch Literaturagenten sind Trüffelsäue. Sie sind Verkäufer, nichts anderes. Ob ein Werk Goethe und Schiller vom Thron stoßen wird, interessiert sie nicht. Das Manuskript muss einen Verkaufswert besitzen, nur das zählt. Viele Literaturagenten haben Kühlschränke und Staubsauger verkauft bevor sie Bücher in ihren Warenbestand aufnahmen. Das ist kein Manko. Der Akt der Verkaufens hat nichts mit der feilgebotenen Ware zu tun. Ein Literaturagent muss den Markt abschätzen können, wissen was seine Kunden wollen und Verkaufsstrategien entwickeln. Das Schreiben und Verbessern von Büchern überlässt er dem Autor. Rechtschreibfehler kann notfalls ein Korrektorat entfernen, auch dafür ist der Literaturagent schlichtweg nicht zuständig.

Self publishing vs. traditioneller Verlag

Dienstleister wie Amazon und BOD haben die Verlagswelt in den letzten Jahren erneut gründlich umgekrempelt. Ein neues Buzzword steht im Raum: Self publishing ermöglicht es Autoren ihre Bücher selbst auf den Markt zu bringen - und sich somit den nervigen, unzuverlässigen und ihrer Meinung nach unfähigen Literaturagenten zu sparen. Gerade diejenigen, die das falsche Bild der Trüffelsau im Kopf haben, freut der Aufstieg der Digitalisierung. Aber schon kurz darauf folgt der Schock: Plötzlich merken sie wieviel Arbeit ihnen der Agent bis dahin abgenommen hatte. Ich kenne viele Kollegen, die jammern weil sie kaum zum Schreiben kommen. Beim Self publishing macht der Autor alles selbst. Gestaltung des Covers, Marketing, Bücher auf die Verkaufsplattformen stellen und so weiter und so fort.

Noch dazu haben sich die Autoren selbst in eine neue Bredouille geritten. Sie werteten sich selbst ab und glaubten, dass sie für selbst publizierte Bücher nicht die gleichen Preise verlangen können wie der nach wie vor hoch geschätzte Traditionsverlag. Ein Selfpublisher hat zu Beginn keinen Markennamen, also muss er sich erstmal beim Leservolk bekannt machen. Die Preise erhöhen kann er später immer noch. So die fatale Logik, die zu einer Schwemme von 99-Cent-Büchern und einem gnadenlosen Preiskrieg führte. Die Verlage lachten sich inzwischen ins Fäustchen und unterstützten fleißig das Bild vom Amateurschreiberling, der nicht bei ihnen unterkommt und jetzt notgedrungen bei KDP, BOD oder einem ähnlichen Dienst publiziert. Natürlich ist auch dieses Bild völlig falsch

Inzwischen sind viele selbstverlegende Autorenkollegen selbstsicherer geworden. Einige von ihnen, ich nenne hier mal exemplarisch Emily Bold, können auf Amazon stattliche Verkaufserfolge vorweisen. Dieser Erfolg sei ihnen gegönnt, er stärkt aber leider auch das falsche Bild vom Self publisher, der den Literaturagenten jetzt mal so richtig zeigen kann was eine Harke ist. Self publishing ist keine leichte Aufgabe. Die liebe Emily musste bestimmt vieles ausprobieren und sich auf Facebook und Co. jahrelang eine Leserschaft aufbauen, bevor sich der Erfolg bemerkbar machte. So etwas dauert länger als einen passenden Literaturagenten zu finden. Auch ein Self publisher kann sich haufenweise Absagen einfangen. Dieses Mal allerdings nicht vom Verlag oder Literaturagenten, sondern direkt vom Leser, der dem vermeintlichen Literaten mit seiner Ein-Sterne-Rezension ordentlich die Meinung geigt. Das ist schlimmer, denn hier verliert der Autor nicht nur seinen Stolz sondern auch Geld. Die miese Bewertung hält andere Käufer davon ab es mit einem potentiellen Goethe-Nachfolger zu versuchen.

Rechnet sich der Literaturagent noch?

Ich selbst habe Erfahrung mit beiden Methoden und will deshalb das Pulizieren über einen Literaturagenten ganz nüchtern mit Self publishing vergleichen. Für meinen Versuch stelle ich ein geplantes Buch, von dem zur Zeit nur der Plot, eine Kurzbeschreibung und ein paar Charakterskizzen existieren, meinem letzten Werk "Lust auf Strand" gegenüber, das ich als Self publisher auf den Markt geworfen habe.

Mehrere Literaturagenten, die das Genre Thriller vertreten, erhielten ein Anschreiben (Pitch) per Mail und eine extrem kurze Zusammenfassung der geplanten Geschichte, aus der sich die Verkaufsträchtigkeit sofort herauslesen lässt. Wie man so etwas schreibt, kannst du übrigens in meinem Thrillerkurs nachlesen.

Literaturagenten geben immer vor keine Zeit zu haben. Einer von ihnen schreibt ganz ehrlich auf seiner Webseite, dass die Bearbeitung von Autorenanfragen mindestens acht Wochen in Anspruch nimmt. Weil alle Agenturen ähnlich arbeiten, nehme ich diesen Zeitraum als üblich an. Betriebswirtschaftlich gesehen, lasse ich mich hier auf ein Geschäft mit hohem Risiko und ungewissem Ausgang ein. Ich verdiene in den acht Wochen Wartezeit keinen einzigen Cent. Möglicherweise erhalte ich nach Ablauf der Zeit nur eine aus Textbausteinen zusammengesetzte Absage - oder auch nicht. Viele Literaturagenten sparen sich diese Arbeit und melden sich gar nicht zurück

Wie sieht das nun beim Self publishing aus? In den ersten acht Wochen verkaufte ich knapp 2.000 Exemplare von Lust auf Strand. Abzüglich Steuern und anderen Gebühren verdiene ich an einem Buch 1,49 Euro. Ich habe somit 2.980 Euro in diesen acht Wochen verdient. Frei Haus bekam ich außerdem einen Eindruck geliefert wie das Geschäft bei verschiedenen Händlern laufen kann und wie sich die Verkäufe beeinflussen lassen. Anders gesagt, ich bekam Einblick in die tägliche Arbeit eines Literaturagenten.

Der Verkaufsstart von Lust auf Strand war nicht besonders glücklich, das Ding lag bei Amazon wie Blei in den Regalen. Von Matthias Matting, Betreiber des Blogs Selfpublisherbibel, bekam ich den Tipp eine Leserunde auf Lovelybooks zu veranstalten. Die brachte mir ein paar gute Rezensionen auf Amazon ein und plötzlich lief es besser bei den Verkäufen. Außerdem spannte ich den Distributor Xinxii ein, der das Buch auf weiteren Verkaufsplattformen veröffentlichte. Überrascht, aber nicht unglücklich darüber, stellte ich fest, dass vor allem die Leser auf Weltbild mein Buch mochten. Von dort kamen die meisten Einnahmen rein. Insgesamt hat mir der Weg des Self publishing deutlich mehr Arbeit beschert, ich fühle mich aber dafür reichlich entlohnt. Neben dem Geld erhielt ich unschätzbar wertvolles Wissen.

Ein Zukunftsmodell, das Literaturagenten mehr Geld bringt

Angesichts dieser Faktenlage stellt sich sofort die Frage, ob Autoren tatsächlich noch Manuskripte an Literaturagenten schicken sollen. Hat dieser Beruf seine Existenzberechtigung verloren? Die Zunft der Literaturagenten muss sich fragen lassen, ob sie noch zeitgemäß arbeitet.

Die meisten Agenten nehmen längst keine kompletten Manuskripte mehr an. Sie bitten um eine kurze Zusammenfassung oder wollen nur die ersten zwei Kapitel lesen. Kein Autor kann sie zwingen sich mühselig durch 500 Seiten zu quälen. Müsste der Literaturagent tatsächlich ein ganzes Manuskript lesen, könnte ich verstehen warum er sich acht Wochen Bearbeitungszeit gönnt. Aber so???

Einen Pitch (der die Geschichte in einem einzigen Satz beschreibt) oder ein Expose (ist nicht größer als eine halbe DIN-A-4-Seite) sollte ein Literaturagent deutlich schneller bearbeiten können. Schicke ich einen Pitch an eine Zeitungsredaktion (auch dort wird mit diesen Ein-Satz-Zusammenfassungen gearbeitet), habe ich nach spätestens nach einer Woche die Zu- oder Absage auf dem Tisch. Häufig geht es noch deutlich schneller. Warum klappt das nicht auch im Literaturbetrieb? Erfahrene Agenten können die Verkaufsträchtigkeit einer Geschichte innerhalb weniger Minuten beurteilen.Dafür sind sie lange geschult worden. Was machen die in den restlichen acht Wochen? Koksnutten vögeln? Däumchen drehen? Keiner weiß es.

Oh, ich vergaß. Ich bin nicht der einzige Autor, der Einlass in die Elfenbein-Walhalla des Literaturbetriebes begehrt. Als Grund für ihre fehlende Zeit geben Literaturagenten immer die zahlreichen Autorenanfragen an, ohne jemals einen Nachweis für diese Behauptung geliefert zu haben. Den gleichen Trick haben vor ihnen übrigens auch die Verlage angewandt. Doch reden wir die Götter des Elfenbeinturms nicht unnötig schlecht. Tun wir mal kurz so als wäre alles, was sie behaupten wahr. Jede Woche wird ihre Walhalla von 500 Autoren gestürmt. Fünfhundert Anfragen, bei denen jeder Antragsteller eine zügige Antwort erwartet.

Für dieses Problem gibt es eine simple Lösung: Jede Firma, die eine Menge Anfragen bewätigen muss, fasst mehrere gleichartige Anträge zusammen und erledigt sie in einem Aufwasch. Das nennt man Zeitmanagement. Auf diese Weise kann besagte Firma nicht nur effektiver und schneller arbeiten, sie verdient auch mehr Geld. Denn jeder einzelne Antrag stellt eine Verdienstmöglichkeit dar.

Die meisten Literaturagenturen betreuen mehrere Buchgenres. Der erste Schritt wäre die einzelnen Anfragen nach diesen Genres zu sortieren. Danach liegt kein großer Berg mit 500 Anträgen auf dem Schreibtisch, sondern mehrere kleinere. Sortiert nach Thrillern, Fantasy, Liebesromanen und was der Agent sonst noch vertritt. Jetzt heißt es gnadenlos aussortieren. Ziel ist jeden einzelnen Berg deutlich zu verkleinern, so dass jeder von ihnen nur noch wirklich verkaufsträchtige Geschichten enthält. Sagen wir zehn Stück. Das ist kein riesiger Berg mehr. Diese Arbeiten dauern bei einem alten Agentenhasen nicht länger als einen Tag.

Um sich endgültig von Müll und Dilettanten zu trennen, haut der Agent jetzt die Absagen raus. Diese Arbeit kann notfalls an ein Schreibbüro ausgelagert werden. Auf diese Weise muss sich der Agent keine Minute länger mit schlechten Pitches und Exposes herumschlagen, außerdem weiß der Autor sofort Bescheid und muss nicht weitere acht Wochen auf die Absage warten.

Jetzt wo alles bereits hübsch sortiert ist, fällt es dem Literaturagenten leicht an bestimmten Tagen nur bestimmte Genres anzubieten. Am Montag fragt er bei Thrillerverlagen an, Dienstags bei den Fantasyverlagen und so weiter. Weil das gnadenlose Aussortieren bereits in Schritt 2 erledigt wurde und jeder der Berge nicht mehr als zehn Geschichten enthält, bietet er den Verlagen gleich das komplette Paket an. Jetzt beginnt für den Agenten das Warten. Jeder halbwegs fähige Verlag sollte aber in der Lage sein zehn Exposes innerhalb von zwei Wochen zu beurteilen. Ist der Literaturagent ein alter Bekannter, entfällt dieser Schritt. Der Verlag weiß, dass er von diesem Agenten nur hochwertiges Material bekommt. Warum nochmal großartig prüfen?

Sagen wir, der Verlag nimmt von zehn angebotenen Thrillern fünf Stück, darüber erhält der Agent sofort Bescheid und kontaktiert die glücklichen Schreiber. Alle Schitte zusammen nehmen höchstens zwei Wochen in Anspruch und verlangen nicht mehr als ein bisschen Organisation. Die Belohnung für den Literaturagenten wäre mehr Geld und Zeit, gleiches gilt für Autor und Verlag. Welchen Ansporn braucht es noch?

Sind die Götter gefallen?

Noch weilen die Literaturgötter in ihrem Olymp. Aber wie lange noch? So lange sie ihre Arbeitsprozesse nicht optimieren, steht ihr Geschäftsmodell in Frage. Denn selbst wenn ein Autor beim Self publishing gnadenlos auf die Nase fällt und insgesamt nur drei Bücher in den acht Wochen verkauft, hat er mehr verdient als wenn er acht Wochen auf eine mögliche Absage wartet. Bei meinem Beispiel Lust auf Strand wären das 4,47 Euro, dafür kriege ich bereits eine Currywurst.

Darum mein Aufruf, liebe Literaturagenten. Erhebt euch, optimiert euer Geschäft und lasst euch von den Self publishern nicht länger das Wasser um euren Olymp abgraben. Andernfalls müssten wir bald den Verlust einer schönen Zunft betrauern, die vielen Autoren durch dunkle Zeiten half und ihnen manche Qualen ersparte - sofern sie ihnen gnädig war.